Streit um Steuern

Thema 05/2010

Hinsichtlich der Diskussionen, ob Steuererhöhungen oder Steuersenkungen angezeigt sind, oder wie man die angebliche Bereitschaft der Bevölkerung für höhere Belastungen einordnen soll ist es hilfreich, sich einmal mit dem Sinn und Zweck eines Staatswesens auseinander zu setzen.

Der sozial gesinnte Bürger eines funktionierenden Staates möchte natürlich diesen unterstützen. Das kann keine Frage sein. Warum gilt es dann als Sport, möglichst alle Tricks anzuwenden, um Abgaben an den Staat zu sparen? Sind solche Menschen asozial, oder ist der jetzige Staat funktionsunfähig und damit nicht würdig, gefördert zu werden?

Die Staatsführung hat die oberste Pflicht, ein Klima allgemeiner Zufriedenheit zu fördern. Dann wird es auch nicht schwer sein, ein gerechtes und gleichzeitig soziales Steuerwesen zu vermitteln.

Steuern sollen

a) effektiv für konkrete und verständliche Zwecke eingesetzt werden und b) nicht nach dem Gießkannenprinzip in unüberschaubare Strukturen fließen.

Das Steuerwesen soll jeden einzelnen Bürger angemessen an der Finanzierung des Staates beteiligen, soziales Unternehmertum fördern und monopolistische und spekulative Gewinnmaximierungsbestrebungen eindämmen. Die Staatsführung soll sich auf die klassischen Aufgaben (Sicherheit, Ordnung und Soziales) konzentrieren und die Eigeninitiative sozialer gesellschaftlicher Strömungen stärken. Auf diese Weise bleiben die Ausgaben des Staates überschaubar und ufern nicht aus.

Es ist nicht die Aufgabe des Staates, bankrotte Banken zu retten, die mit den Geldern ihrer Kunden in abenteuerlicher Weise spekuliert haben. Vielmehr sollte der Staat geschädigte Kunden im Einzelfall unterstützen, wenn dies im Einzelfall nach Abwägung aller Umstände aus sozialen Gründen geboten ist.

Das Währungs- und Geldsystem muss über kurz oder lang so eingerichtet werden, dass die Notwendigkeit der Inflationierung infolge einer immer höheren Staatsverschuldung entfällt. Schuldenwirtschaft kann niemanden inspirieren, angemessene Beiträge zu leisten. Ziel muss es sein, schuldenfrei und proaktiv gestalten zu können. Möglicherweise sehen wir die Wende erst nach dem jeweiligen Staatsbankrott; lieber ehrlich sein und die Notbremse ziehen als ein nie endendes Siechtum mit ewig falschen Versprechungen auf eine bessere Zukunft und astronomisch anmutenden Haushaltsplänen! Das Bankenwesen muss neu geordnet werden, wobei insbesondere das Spekulationswesen sorgfältig kontrolliert werden muss.

Wieder einmal stellt sich hier die Frage, warum sich eine religiöse Gemeinschaft mit solchen politischen Fragen beschäftigt.

Dazu eine kleine Geschichte zur Veranschaulichung eines interessanten Phänomens:

Ein Vater mit seinem Kind ist mit einem Esel unterwegs. Sie passieren verschiedene Ortschaften, und die Menschen haben allerlei Kritik zu üben.

a) In der ersten Ortschaft sitzt das Kind auf dem Esel. Der Vater geht zu Fuß. Die Menschen reden darüber, wie das Kind nur so unverschämt sein kann, den älteren Vater zu Fuß laufen zu lassen.

b) In der zweiten Ortschaft sitzen beide auf dem Esel. Nun protestieren natürlich die Tierschützer über die Schändung des Esels.

c) In der dritten Ortschaft sitzt nun der Vater auf dem Esel und das Kind läuft daneben her. Wie grausam nur der Vater zu seinem Kind ist denken sich die Leute hier.

d) In der vierten Ortschaft nun gehen sie alle drei auf ihren eigenen Füßen. Ja wie dumm sie doch sind und nicht den Esel als Lasttier nutzen?

Wer sich heutzutage in der Öffentlichkeit kundtut, wird - aufgrund des Zeitalters des Streites und der Heuchelei - sowieso immer irgendwie in Frage gestellt. Kein Wunder - Die Menschen gehen durch so viele schlechte Erfahrungen hindurch, dass sie kaum noch an das Gute glauben können. Eine Religionsgemeinschaft - wie die ISKCON - steht natürlich als eine im Westen relativ neue Bewegung besonders auf dem Prüfstand. Daher begründet der Verfasser dieses Kommentars zum Zeitgeschehen zur Beruhigung der Gemüter sein Verhalten auf folgende Weise (andere, prominentere Schreiber, müssen dies nicht tun, weil man sie schon in eine Schublade stecken konnte):

a) Die ISKCON verbreitet primär das Chanten der Namen Krishnas über die Welt. Zur Unterstützung des Chantens werden natürlich auch die Schriften verbreitet, aus denen hervor geht, wer denn nun eigentlich Shri Krishna ist. Sonst ergäbe es für einen intellektuellen Menschen ja keinen Grund, sich dafür zu interessieren. Es geht hier also nicht um religiösen Fanatismus sondern um nachvollziehbare Vorgänge.

b) Sekundär möchte die ISKCON auch verschiedenste Aspekte des vedischen Gesellschaftsverständnisses darlegen, um Verantwortungsträgern, Lehrern, Eltern u.a. in ihrem täglichen Leben behilflich zu sein, denn wir sind der Meinung, dass wir von der ältesten lebenden Kultur etwas lernen können. Dabei wollen wir nicht irgend welche Glaubenssätze indoktrinieren, denn dies gerade widerspricht vedischem Denken! Der vedische Erkenntnisprozess orientiert sich an den Grundsätzen der Vernunft, ist also aufklärerisch. Ziel der vedischen Offenbarung ist es, den Lebewesen - und auch Gesellschaften - in ihren jeweiligen Situationen Orientierung und Hilfe zu bieten. Die Anwendung der Inhalte erfolgt immer entsprechend den besonderen Gegebenheiten vor Ort, wobei hierbei besonders auch die persönliche Dynamik zwischen einem Ratgeber und Ratsuchenden eine wichtige Rolle spielt. Es gibt also auch immer eine Vielfalt von Sichtweisen im Spektrum vedischer Kultur. So ist es dem Autor dieses Artikels also möglich, eine ganz bestimmte Meinung zum Ausdruck zu bringen, ohne diese zum Non-Plus-Ultra hochstilisieren zu müssen. Er sollte jedoch zumindest einige vedische Quellangaben für seine Ansichten präsentieren können. Sonst könnte man zurecht fragen: Warum soll mich seine Meinung denn interessieren? Und aus diesem Grunde hier einige vedisch fundierte Anhaltspunkte für die Darstellung oben zum Thema "Streit um Steuern":

Wir finden in der von Shri Krishna gesprochenen Bhagavad-gita (18.43) Anhaltspunkte dafür, welche Fähigkeiten ein Staatsoberhaupt haben sollte:

"Heldenmut, Macht, Entschlossenheit, Geschicklichkeit, Mut in der Schlacht, Großzügigkeit und Führungskunst sind die natürlichen Eigenschaften, die die Handlungsweise der Kshatriyas bestimmen." (kshatriyas sind die Staatslenker)

Weitere Beschreibungen:

"Der Kshatriya zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus: Er ist unerschrocken im Kampf, unbesiegbar, geduldig, herausfordernd und mildtätig, hat die körperlichen Bedürfnisse unter Kontrolle, ist nachsichtig, fühlt sich zu den Eigenschaften der Brahmanen hingezogen und ist immer fröhlich und wahrheitsliebend." (Shrimad Bhagavatam 7.11.22; Die Kshatriyas sollten sich zu tugendhaften Menschen, den Brahmanen, hingezogen fühlen und von ihnen Ratschläge entgegen nehmen)

"Für einen Brahmanen gibt es sechs Pflichten, die seinem Stand zugeordnet sind. Ein Kshatriya sollte KEINE SPENDEN ANNEHMEN!!!, doch die restlichen fünf Pflichten darf er ausführen. Einem König oder Kshatriya ist es nicht gestattet, den Brahmanen Steuern aufzuerlegen, er darf sich jedoch seinen Lebensunterhalt verdienen, indem er von seinen anderen Untertanen MINIMALE Steuern, Zollgebühren und Geldstrafen einzieht." (Shrimad Bhagavatam 7.11.14)

Im vedischen System sollen es die tugendhaften Menschen sein, denen Spenden gegeben werden, denn diese verteilen die Mittel in rechter Weise an andere. Selbst sind die Brahmanen sehr genügsam und benötigen nur sehr wenig für ihren persönlichen Unterhalt, so dass schon alleine aufgrund dieser Tatsache ein Missbrauch der Spendengelder unwahrscheinlicher ist als bei denjenigen, die in Saus und Braus leben.

Weitere Anmerkungen zur Vermeidung von Missverständnissen:

Wir haben bereits in dem Beitrag "Sinnvolles Zusammenleben" von 2008 beschrieben, dass es allgemeines Staatsziel der vedischen Gesellschaft ist, die Erscheinungsweise der Tugend zu fördern. Es ist also nicht so, dass nur die Brahmanen tugendhaft sein sollen, sondern auch möglichst alle anderen Menschen. Umgekehrt gesehen wird jedoch als Brahmane nur anerkannt, wer einem tugendhaften Mindeststandard folgt, während andere Angehörige der Gesellschaft anhand flexiblerer Maßstäbe gemessen werden.

Wir ersehen jedoch bereits aus diesen wenigen Zitaten, dass die Regierung bei der Erhebung von Steuern Vorsicht walten lassen sollte, um nicht den Regierungsauftrag zu verfehlen.

Lassen wir zum Thema noch Seine Göttliche Gnade A.C. Bhaktivedanta Prabhupada etwas sagen, dem wir eine klare und verständliche Überlieferung vedischen Gedankengutes für unsere Zeit im allgemeinen zu verdanken haben:

"... Die Kshatriyas sind zwar beinahe gleich hoch qualifiziert wie die Brahmanen, aber dennoch dürfen nicht einmal sie Spenden annehmen. Das wird in diesem Vers durch den Gebrauch des Wortes apratigraha strengstens untersagt. ... Der König oder die Regierung dürfen die Bürger mit verschiedenen Steuern belegen, wie Einkommenssteuer, Zollgebühren, Geldstrafen usw., vorausgesetzt, dass der König imstande ist, seinen Untertanen vollen Schutz zu gewähren, so dass ihr Leben und ihr Wohlstand gesichert sind. Wenn der König nicht fähig ist, Schutz zu gewähren, darf er keine Steuern einziehen. ..." (Erläuterung zum Shrimad Bhagavatam 7.11.14)

Natürlich ist das Thema Staatskunst äußerst vielschichtig und entzieht sich einer stereotypen Festlegung, jedoch kann jeder Bürger mit durchschnittlicher Frömmigkeit bzw. Intelligenz den Unterschied zwischen Schutz einerseits und Ausbeutung andererseits im täglichen Leben am eigenen Leibe spüren. Es geht also auch hier um die eigenen Erfahrungswerte, die für das vedische Verständnis eine wichtige Rolle spielen. Die Zufriedenheit der Bürger mit ihrer Regierung ist zwar nicht der einzige, aber ein maßgeblicher Faktor für die Beschreibung der Qualität der Führungsschicht. Direkte Demokratie, Lynchjustiz oder ähnliches sind nicht die Kennzeichen einer hohen Kultur. Es geht um die Ausgewogenheit der Ordnung, wobei der Vorbildfunktion der leitenden Menschen die entscheidende Rolle zukommt. Wenn in einer Gesellschaft kaum noch Vorbilder in führenden Stellen tätig sind, ist so gut wie alles verloren, egal welchen Anstrich sich das System nach Außen gibt.

Ein Kommentar von Parivadi dasa