"Was Nacht ist für alle Wesen, ist die Zeit des Erwachens für den Selbstbeherrschten, und die Zeit des Erwachens für alle Wesen ist Nacht für den nach innen gekehrten Weisen." (Bhagavad-gita 2.69)
Shri Krishna deutet hier an, dass es grundsätzlich zwei Lebensauffassungen
gibt, nämlich folgende zwei Kategorien:
KATEGORIE 1
Ich lebe hier in dieser Welt, um es mir hier schön einzurichten und gut
gehen zu lassen. Es ist dies meine Heimat und es gibt keinen Grund, mir
weitere Gedanken zu machen. Ich bin gut, wenn ich mit anderen teile, so dass
auch die anderen möglichst Anteil am Glück haben. Schön ist es auf der Welt
zu sein sagt die Biene zu dem Stachelschwein. Wir können nun auch alles bei
Lidl preisgünstig beschaffen, und es gibt dort jetzt sogar Bio-Produkte.
Zuweilen wird dort sogar Zubehör für autogenes Training oder Yoga angeboten.
Die Menschen verstehen nun schon, dass nicht nur eine gesunde Ernährung
wichtig ist sondern auch körperliche und geistige Ausgeglichenheit. Ich
halte mich fit und über den Tod muss ich mir keine Gedanken machen, denn
wenn es ein Leben danach gibt, dann muss ich mich davor nicht fürchten, denn
ich bin ein guter Mensch, habe ich doch stets Spenden gegeben und war lieb
zu allen. Außerdem unterstütze ich Greenpeace und bin seit drei Jahren
Veganer, denn ich möchte meinen Beitrag für eine bessere Welt leisten. Von
allen Heilslehren bevorzuge ich den Buddhismus, denn hier muss man sich
nicht mit Hirngespinsten beschäftigen, wie das in den Religionen der Fall
ist, die nur Unruhe und Kriege in der Welt entfachen.
KATEGORIE 2
Ich bin in Unwissenheit geboren und frage mich, wo ich herkomme. Bin ich ein
Klumpen aus Fleisch, Blut, Urin, Schleim, Knochen, Knorpeln, Haaren und
einem Nervenkostüm, das mich elektrisch steuert? Warum muss ich leiden?
Warum werde ich zuweilen krank? Ist das hier meine Heimat? Ich kanns einfach
nicht glauben. Meine innersten Wünsche sind mit dieser Situation nicht
vereinbar. Warum muss ich in der Schule soviel unsinnige Dinge lernen über
Kriege, Machthaber, über die Errungenschaften der deutschen demokratischen
Grundordnung? Warum ist alles so widersprüchlich? Warum verdienen manche
Menschen eine Milliarde Dollar am Tag und andere 100 Dollar im Jahr? Warum
reden wir denn dann über den Rechtsstaat? Auch lerne ich staunend, dass der
Mensch vom Affen abstammt, sich im Lauf der Evolution vom Einzeller nun zur
Krönung der Schöpfung entwickelt hat und drauf und dran ist, das globale
Gleichgewicht in den Griff zu bekommen, denn das Wechselspiel von Mutation
und Auslese wird dafür sorgen, dass das Gute und Bessere überleben wird und
wer das nicht einsehen möchte, der sollte in Therapie geschickt werden. Doch
wenn ich mir die Weltlage ansehe, kann ich beim besten Willen keinen
wirklichen Fortschritt erkennen. Die meisten Lebewesen leiden unter Kälte,
Hitze, Unter- oder Fehlernährung, Krankheiten aller Art und sehen keine
gesicherte Zukunft für sich, geschweige denn für die abhängigen
Familienangehörigen. Auch der westliche Wohlstand für die Breite Masse
scheint mir eine Illusion zu sein, zumal sich die Menschen gerade dann nicht
vertragen zu scheinen, wenn es ihnen materiell besser geht. Noch nie gab es
so viele zerrüttete Familien wie heute. Das ist nicht meine Heimat! Ich
gehöre nicht zu dieser Welt des Fressens und Gefressens werden. Darwinismus
treibt mir die Gänsehaut über den Rücken. Ich suche nach meinem wahren
Ursprung, der nicht in der Materie liegen kann, denn meine Intuition sagt
mir, dass ich selbst nicht dieser Körper bin. Ich bin ein antimaterielles
Teilchen, das im Kosmos gefangen gehalten wird. Wie kann ich da rauskommen,
nach Hause zurück? Ich studiere die Lehren der großen Weltreligionen und
komme zu dem Ergebnis, dass ich ein ewiges spirituelles Wesen bin, das sich
hier in dieser Welt verirrt hat. Durch Religion, Rückverbindung mit Gott,
kann ich die Situation bereinigen. Ich sage das auch anderen, denn ich habe
Mitleid mit denen, die hier im Kreislauf von Geburt, Alter, Krankheit und
Tod gefangen sind. Ich möchte vom materialistischen Treiben möglichst
Abstand nehmen, denn ich fühle mich dadurch belästigt. Besonders stören mich
diejenigen, die überheblich ihre materiellen Errungenschaften, z.B.
körperliche und geistige Ausgeglichenheit, zur Schau stellen, obwohl sie
nicht einmal wissen, in welch einer gefährlichen Situation sie sich
befinden. Mich ziehen diejenigen an, die Geborgenheit in Gott gefunden haben
und damit eine unerschütterliche Ruhe ausstrahlen, die mir Halt und
Sicherheit gibt, bin ich doch als kleines spirituelles Teilchen auf meine
Quelle angewiesen, von ihr abhängig. Wie kann ich mir nur anmaßen, mich als
unabhängig aufspielen zu wollen, bin ich doch jeden Bruchteil einer Sekunde
von so vielen Faktoren abhängig, dem Blutdruck, der Körpertemperatur, von
Mutter Erde, von der Großzügigkeit der Vorsehung allgemein. Zuerst waren es
meine Eltern, die sich um mich gekümmert haben. Ich lag die ersten Monate
völlig hilflos in der Wiege, davor umschlossen im Mutterleib, wurde heraus
gepresst durch Wehen, die über meine Mutter kamen. Nun arbeitet meine
körperliche Maschine wahrscheinlich noch ein paar Jahre, aber dann muss ich
weiter gehen, vielleicht in einem zukünftigen Leben wieder in eine Schule,
wo ich möglicherweise wieder hören muss, dass der Glaube an Gott mit
Wissenschaft nichts zu tun hat, und dass Darwin die Welt vom Irrglauben
erlöst hat. Nein danke, eine weitere Runde möchte ich nicht mehr erleben!
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Es ist leicht zu verstehen, dass die beiden Lebensauffassungen nicht
miteinander vereinbar sind. Die vedischen Schriften berichten, dass es seit
Anbeginn des Kosmos immer wieder zu größeren und kleineren Streitigkeiten
zwischen den Verfechtern der beiden Gruppen kam.
Sogar der Schöpfer des Universums, Brahma, musste sich von vier seiner
Abkömmlinge, den vier Kumaras, gefallen lassen, dass diese sich weigerten,
ein Familienleben zu führen, um für Nachwuchs im Universum zu sorgen. Er
wurde darüber zornig, und so erschien dann Shiva. Diese Geschichte findet
man im dritten Canto, Kapitel 12, des Shrimad Bhagavatam. Im sechsten Canto
des Shrimad Bhagavatam, Kapitel 5, wird berichtet, dass Narada Muni, der
große universale Prediger des Krishna-Bewusstseins, Kinder des Vorvaters
Daksha dazu inspirierte, Mönche zu werden. Daksha, der Vater, wurde aufgrund
der Aktivitäten von Narada Muni sehr zornig und verfluchte diesen.
Hierzu muss allerdings angemerkt werden, dass sowohl Brahma als auch Daksha
nicht Vertreter der ersten Kategorie sind. Vielmehr haben sie den göttlichen
Auftrag, die Bevölkerung im Universum zu vermehren. Ihnen ist bewusst, dass
der eigentliche Sinn des Daseins ist, diesen Ort möglichst schnell wieder zu
verlassen. Dennoch hatten sie Konflikte dieser Art mit Lebewesen, die
entschlossen waren, einen klaren antimaterialistischen Kurs zu nehmen. Sie
fanden sich jedoch später mit der Entscheidung ihrer Abkömmlinge ab, die
materielle Schöpfung nicht auszudehnen.
Anders ist es mit Hardlinern der Kategorie 1. Sie schmähen die Vertreter der
Kategorie 2 meist als Sektierer oder in ähnlicher Weise, machen sich lustig
über sie oder verfolgen sie in der ein oder anderen Weise.
Shri Chaitanyas Mission in diesem dunklen Zeitalter des Kali ist es nun, den
in das weltliche Dasein vertieften Seelen nicht unnötig Vorhaltungen zu
machen, denn das würde diesen nicht weiter helfen sondern sie noch weiter in
gottferne Regionen hinaus drängen. Vielmehr wird von den Vertretern des
Gauidya-Vaishnavismus nun der Versuch unternommen, freudvolle Aspekte des
Gottesdienstes, insbesondere das Singen der Namen Krishnas, auf die Straße
hinaus zu tragen, denn viele viele Menschen haben nicht mehr die Neigung,
Kirchen, Moscheen, Tempel oder andere Gotteshäuser zu besuchen. Die meisten
haben dafür einfach keine Zeit mehr. Die ISKCON unternimmt daher weltweit
große Anstrengungen, das Krishna-Bewusstsein mit allen möglichen technischen
Errungenschaften zu verbreiten, z.B. mittels dieser Web-Seite. Manche sehen
einen Widerspruch darin, wenn Spiritualisten auf der einen Seite materiellen
Fortschritt in Frage stellen, auf der anderen Seite jedoch die
Errungenschaften, z.B. Computer, benutzen. Hierzu ist zu sagen, dass es
nicht um die Verurteilung materieller Geräte geht sondern um die
Transzendierung der falschen Lebenseinstellung, sich als unabhängigen
Genießer in dieser Welt zu sehen, was eben eine Illusion ist, die zum
fortgesetztem Dahinvegetieren in der materiellen Welt führt, denn die
materielle Welt dient eben gerade zur Unterbringung der Sektierer; diese
wiederum bezeichnen diejenigen, die nach Hause zurück zu Gott wollen, als
Sektierer.
Wer hat nun recht? Ist es möglich, in der Materie anhaltendes Glück zu
finden oder eben nicht? Das möge jeder für sich selbst entscheiden. Wir
sagen nein!
Ihr Diener
Parivadi dasa