Lasst die Kirche im Dorf
Thema 19/2013
In diesem zweiten Beitrag zum vedischen Gesellschaftsverständnis wollen wir sehen, wie eine vedische Regierung mit der Tatsache umgeht, dass es verschiedenste Volksgruppen mit ihren Sitten gibt. Lässt eine vedische Regierung die Vielfalt zu, oder wird eine diktatorische Standardisierung bevorzugt, oder möchte man vielleicht mit Zwang strenge Sitten für alle einführen?
Wir haben bereits in Beiträgen vergangener Jahre verstreut einige Aspekte vedischen Regierens beschrieben. Zum Thema des Rauchens in der Öffentlichkeit haben wir in Beitrag 28/2010 heraus gestellt, dass es wenig nutzt, das Rauchen einfach zu verbieten. Es ist besser anzuerkennen, dass es zu allen Zeiten Menschen und Menschengruppen auf verschiedenen Bewusstseinsebenen gibt und geben wird. Ein umsichtiger Monarch lässt die Völker mit ihren Angewohnheiten gewähren, auch wenn dies dazu führt, dass verschiedene Moralvorstellungen nebeneinander existieren. Gleichmacherei widerspricht dem Wesen Gottes. Auch Menschen, Tiere und Pflanzen, ja auch Steine existieren nebeneinander. Niemand verlangt von einem Hund, mit dem Bellen aufzuhören!
Vedische Führer erkennen die Vielfalt und vermeiden Gleichmacherei. Westliche Besserwisser prangern zurecht das Kastensystem an, ohne jedoch zu verstehen, dass es überall auf der Welt verschiedene soziale Schichten gibt. So wird es immer sein, und die künstlich herbei geredete und propagierte klassenlose Gesellschaft ist nur ein Hirngespinst. Der Hochschulprofessor muss sich anders benehmen als ein Bauarbeiter. Beide werden wenig Erfolg haben, wenn sie die Rolle des jeweils anderen übernehmen wollten. Es sind unterschiedliche Lebensstile, wie man sie überall auf der Welt natürlicherweise vorfindet. Ein Staatsführer muss das mit viel Toleranz ertragen und anerkennen. Die Menschen sind nicht glücklich, wenn versucht wird, sie mit Gewalt in bestimmte Richtungen zu drängen, die ihrem Wesen entgegen gesetzt sind. Ein Staatsführer muss daher sehr gut das Wesen der Menschen verstehen lernen. Die spirituelle Psychologie, die sich aus den vedischen Schriften ergibt, ist nicht zu widerlegen. Die Lebewesen werden in unterschiedlichen Kombinationen von den drei Erscheinungsweisen Tugend (sattva-guna), Leidenschaft (raja-guna) und Unwissenheit (tama-guna) bedingt. Die jeweilige Mischung, in der sich jemand befindet, resultiert aus den Taten der vergangenen Leben und wird auch durch die Tätigkeiten des laufenden Lebens beeinflusst. Der Mensch hat also auch die Möglichkeit, sich durch die aktuellen Tätigkeiten zu erheben oder zu erniedrigen. Es gibt also - entgegen einigen Fehlinterpretationen östlicher Lehren - auch den Faktor Freiheit. Man ist nicht auf Gedeih und Verderb dem eigenen Schicksal ausgliefert. Es gibt für jeden individuell verschiedene Möglichkeiten, die Zukunft positiv oder negativ zu beeinflussen. Ein Staatsführer muss also auch Möglichkeiten für die gesellschaftlichen Gruppen vorsehen umzusteigen. Ein Gefängnisaufenthalt sollte z. B. darauf angelegt sein, dass der Verbrecher nach der Entlassung ein ordentliches Leben führen kann.
Natürlich hat staatliche Toleranz dort ihre Grenze, wo Individual- und Gruppeninteressen aufgrund des Verhaltens von Lebewesen substanziell bedroht werden. Das ist klar und wird überall auf der Welt so gehandhabt, wobei es natürlich verschiedene Ansichten gibt, welche Vorgänge reguliert werden müssen. Interessant ist hierbei, dass das vedische Verständnis dahin geht, dass nicht alle Menschen dieselbe Behandlung erfahren sollen. Wenn ein Steuereintreiber stiehlt, muss dies stärkere Folgen haben als wenn ein Otto-Normal-Verbraucher ein Stück Käse mitgehen lässt. Ein Lehrer, der eine sexuelle Beziehung mit einer minderjährigen Schülerin pflegt, muss stärker diszipliniert werden als ein junger Erwachsener, der Sex mit einem jungen Mädchen hat usw. Im vedischen Gesellschaftsmodell gibt es detailierte Differenzierungskriterien für die Beurteilung aller möglichen Ereignisse. Man wird hier keine primitiven Rasenmähermethoden finden, sondern es werden immer Zeit, Ort und Umstände berücksichtigt. Die gleichen Prinzipien gelten für die Reglementierung von Brauchtum und besonderen Angewohnheiten einzelner Volksgruppen. So wird ein vedischer König den Alkoholgenuss in Deutschland nicht generell verbieten, obwohl es ein allgemeines Ziel für die Menschen sein sollte, von Drogen frei zu sein oder zu werden. Es war jedoch in Deutschland nun mal seit der ersten Reichsgründung und auch davor üblich, sich mit Alkohol mehr oder weniger in Stimmung zu bringen oder sich zu berauschen. Der vedische Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel gebietet es, die Menschen nicht durch krasse Verbote zu zermürben (siehe auch unser Beitrag zum Rauchverbot Nr. 28/2010). Vielmehr muss der Staat die intelligenten und moralisch gefestigten Menschen fördern und als Lehrer wirken lassen. Im klassisch vedischen Kontext sind das die Brahmanen, der Kopf der Gesellschaft. Selbstverständlich ist es einem vedischen Brahmanen untersagt zu rauchen, zu trinken, unzulässige Sexualität zu haben oder Glücksspiel zu betreiben. Auch darf ein Brahmane kein Fleisch essen oder jagen und schlachten.
Die Brahmanen sind das Vorbild für die allgemeine Bevölkerung und werden von der Regierung als Berater hinzugezogen. Die Brahmanen selbst entsagen jeglichen Regierungsgeschäften. Sie lehren, beraten, vollziehen religiöse Zeremonien usw. Ihren Lebensunterhalt bestreiten sie aus Spendengeldern. Feste Gehälter lehnen sie ab, weil sie dadurch unter sozialen Druck gerieten und nicht mehr frei wären, Angelegenheiten nach ideellen Grundsätzen zu beurteilen. Es wurde in unserem Kulturraum vielfach der Versuch unternommen, dieses vedische System als Herrschaft der Brahmanen zu verurteilen. Nichts könnte irreführender sein. Der Brahmane interessiert sich nicht für Macht und Reichtum. Sein Glück liegt in einem einfachen gottesbewussten Leben.
Die Regierenden dürfen einen gewissen Luxus pflegen, insbesondere für Repränsentationszwecke , müssen aber - wie die Brahmanen - Vorbild sein. Sie sollen mutig die Staatsgeschäfte effektiv zum Wohle der Gesellschaft führen.
Auch von wirtschaftlich einflussreichen Menschen wird im vedischen System mehr verlangt als von den anderen Bürgern. Sie müssen Angestellten und Arbeitern ein guter Arbeitgeber sein, der sich um sie sorgt!!!
Das wären in kurzer Zusammenfassung die Merkmale eines vedischen Staatsmodells.
Die Uniformierung, wie sie durch die modernen zentralistischen Maßnahmen meist angestrebt wird, steht in krassem Gegensatz zur menschlichen Natur und damit dem vedischen System, welches die Menschen in ihrem Streben nach Glück fördert. Eine Einheitsreligion möchte das vedische Modell übrigens überhaupt nicht erreichen. Ein christliches Dorf mit der Kirche bleibt unangetastet, genauso wie eine Synagoge oder eine Moschee. In manchen Berichterstattungen über die ISKCON wurde der Eindruck erweckt, wir wollten eine Art Gesinnungsdiktatur befördern. Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt als so ein Unsinn. Vedische Regierungskunst ist auf die Förderung jedes einzelnen Individuums ausgelegt, nicht auf Gängelung, Bevormundung oder Unterdrückung. Es gibt also auch keine Staatsreligion in einem vedischen System.
Im nächsten Beitrag werden wir sehen, dass überall auf der Welt vedische Grundsätze mehr oder weniger befolgt werden. Wenn man vedische Gesetzmäßigkeiten verabscheut, unterdrückt oder nicht befolgt ist das Ergebnis schlecht. Wenn Naturgesetze missachtet werden, gibt es eben Probleme!!!
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