Brahmanen

Thema 25/2019

Es ist immer noch ein weit verbreiteter theologischer und spiritueller Irrtum, nur ein Inder könne als Brahmane leben und wirken. Diese sektiererische Sicht hat sich im Laufe der Jahrtausende in die vedische Überlieferung eingeschlichen. In der materiellen Welt verstaubt alles im Laufe der Zeit und wird damit unklar. Darum sind regelmäßige Reformationen notwendig, die von Oben inspiriert oder direkt von göttlichen Avataren durchgeführt werden.

Die wichtigste Reformation im Kali-Yuga wurde vom goldenen Avatara Shri Chaitanya (1486 bis 1534 AD) eingeleitet und von den nachfolgenden Vaishnava-Acharyas verbreitet, zuletzt insbesondere durch Seine Göttliche Gnade A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada (1896 bis 1977 AD).

Die Vaishnava-Acharyas ** in der Nachfolge des größten aller Reformatoren, Shri Chaitanya, lehren, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, sich als Brahmane zu qualifizieren. Entsprechend der Lehren des großen Vaishnava-Acharyas Shrila Bhaktivinoda Thakura (1838 bis 1914 AD) beruht ein brahminisches Leben auf folgenden fünf Komponenten:

1. Askese

Ein Brahmanen-Anwärter kommt nicht darum herum, sich in weltlicher Enthaltung zu üben. Insbesondere Anfänger müssen erst einmal von der Hitze der materiellen Erfahrungen abgekühlt werden, weil sie ansonsten nicht die Kraft besitzen, zwischen spirituellen und materiellen Handlungen unterscheiden zu lernen.

Darum raten wir von der Hare-Krishna-Bewegung jedem Neuling an, sich zumindest für mindestens drei Monate oder ein paar Jahre in einem klösterlichen Umfeld zu bewegen, wo es einem einfach leichter fällt, schlechte Angewohnheiten aufzugeben, z. B.

- Drogenkonsum

- Glücksspiel

- Besuch von sog. Vergnügungsstätten aller Art wie Bordelle, Bierzelte, die Sucht nach Musik und Tanz aller Art

- frivole Sportarten wie Tennis, Bodybuilding

und vieles mehr, was uns in der Materie gebunden hält.

2. Ordentliches Auftreten als Geistlicher

Ein Geistlicher (Brahmane) sollte sich zu seinem eigenen Schutz und für das Wohl von Menschen, die er ja zu erheben versuchen sollte, entsprechend korrekt kleiden, es also vermeiden, seine Körperlichkeit zur Schau zu stellen. Darüber hinaus gaben sich die verschiedenen geistlichen Orden aus gutem Grunde gewisse Erkennungsmerkmale. Dies dient nicht nur den Menschen, die dann sehen "aha hier kommt ein Hare-Krishna-Jünger", sondern auch dem Brahmanen selbst als Identifikationshilfe, also als Erinnerung in der Weise "Ja, ich möchte jetzt brahminisch wirken und kann mich nicht gehen lassen, wie es mir gerade in den Sinn kommt."

3. Das Chanten der heiligen Namen Gottes

Diese dritte Komponente ist für die Vaishnava-Brahmanen die wichtigste, sozusagen das Zentrum und Herz der fünf Komponenten:

Hare Krishna Hare Krishna
Krishna Krishna Hare Hare
Hare Rama Hare Rama
Rama Rama Hare Hare

Der Maha-Mantra ist die eigentliche Kraftquelle, nicht nur für funktionelle Brahmanen * sondern für jedermann (frau), der (die) sich spirituell fort entwickeln möchte.

Ernsthafte orthodoxe Christen chanten idR Kyrie eleison. Dieses Chanten beruht auf dem gleichen Prinzip. Man (sie) bemüht sich um die Inspiration von Oben!!!

4. Mantra-Einweihung = Ordinierung

Die vierte Komponente ist ein spezifischer Einweihungsmantra, den man (sie) von einem bereits erfolgreichen Brahmanen empfängt, wenn dieser uns für qualifiziert hält, ebenfalls als funktionelle Brahmanen aufzutreten. Da kann nicht jeder zugelassen werden, weil dies zu einem gesellschaftlichen Chaos führen würde. Wir sehen ja jetzt, dass besonders die katholische Kirche sehr darunter leidet, dass viele ihrer Geistlichen so tief gefallen sind. Ein Orden, der etwas auf sich hält, sollte hier bessere Sicherheitsvorkehrungen treffen. Im vedischen Kontext behalten sich die Brahmanen untereinander im Auge und beraten ihre Angelegenheiten in Liebe und Vertrauen miteinander. Sie nehmen nur sehr ernsthafte Spiritualisten in die Brahmanen-Laufbahn auf.

Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass Ordensleben in diesem Sinne nicht auf ein klösterliches Leben begrenzt ist. Nein, Brahmanen gründen auch Familien, haben Kinder und leben inmitten der Gesellschaft, wenn auch zurückhaltend. Andere Brahmanen, meist diejenigen, die zölibatär ohne Familie leben, ziehen predigend durchs Land und wieder andere verehren Gott an Pilgerorten usw. Meistens ist es so, dass der Brahmanenkandidat bei der Einweihung einen mehr oder weniger konkreten Auftrag von seinem Guru bekommt. Dieses System ist also flexibel und bietet Raum für verschiedenste Lebenssituationen.

5. Spirituelle Aktivitäten

Als Brahmane ist man (sie) gehalten, für die allgemeine Gesellschaft erhebend zu wirken, zum Beispiel als Zeremonienmeister, Priester, Seelsorger, spiritueller Lehrer (guru) oder Philosoph. Ein Brahmane ohne Ziel ist in seiner Stellung gefährdet, weil man (sie) sehr leicht durch die illusionierende Energie fehlgeleitet wird, wenn man (sie) untätig ist. "Ein träger Geist ist die Werkstatt des Teufels" lautet das voll zutreffende Sprichwort diesbezüglich. Shrila Prabhupada führt dazu aus

"Ein ehrlicher Straßenfeger ist weitaus besser als ein Scharlatan, der nur meditiert, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen."

(s. Bhagavad-gita 3.7, Kommentar, letzter Satz)

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Natürlich stellt sich jetzt die Frage, ob jeder Spiritualist als Brahmane wirken muss, um die Gunst Shri Krishnas erlangen zu können.

Die Antwort ist ein klares Nein. Für diese reformatorische Ansicht wurde der spirituelle Meister von Shrila Prabhupada von den stolzen Kastenbrahmanen gehasst, denn diese irre geleiteten Brahmanen, von denen es immer noch viele gibt, wollen ihr Privileg, also Ansehen und leider auch ihre Einkünfte, mit niemandem teilen, außer untereinander in ihren Clans; deshalb Kastenbrahmanen. Sie behaupten dann auch, dass nur Inder oder wie sie sektiererisch sagen Hindus *** Brahmanen sein können. Das ist ja, wie wir vorher ausgeführt haben, sowieso falsch. Aber auch jeder Mensch, der nicht die Neigung oder Qualifikation hat, als funktioneller Brahmane * zu wirken, kann brahminisch leben, ohne eben die spezifischen Funktionen eines Brahmanen auszuüben. So kann z. B. auch ein Kfz-Mechaniker brahminisch leben, indem er seinen Arbeitsplatz sorgfältig pflegt und die Kunden zufrieden stellt und indem er sich auch außerberuflich um spirituellen Fortschritt nach Kräften bemüht. Insbesondere ist es jedem erlaubt, den Hare-Krishna-Maha-Mantra zu chanten. Die Kraftentfaltung dieses stärksten Mantra ist nicht von einer Ordenseinweihung abhängig. Es genügen Konzentration und der Wunsch, spirituell voran kommen zu wollen. Solche Menschen gelangen genauso zu Shri Krishna wie ernsthafte Brahmanen.

In diesem Sinne können sich der Maurer, der Kfz-Mechaniker, der Priester und alle anderen ernsthaften Menschen die Hand reichen; kein Bedarf für Konkurrenzkonflikte!!! Auf diese Weise entsteht eine funktionierende vedische Gesellschaft, die für alle Menschen, Tiere, Pflanzen, ja die ganze Natur höchst glückbringend ist.

Es sei noch angemerkt, dass vedische Brahmanen in der Regel nicht als bezahlte Angestellte von Institutionen arbeiten sollen, weil das ihre geistige Entwicklung behindern könnte, wenn sie zu sehr ans Geld denken insbesondere. Besser ist es, wenn der Brahmane von Spenden lebt; Dann sieht er (sie) selbst, ob sein Wirken Anklang findet, was zu einer vorteilhaften gesellschaftlichen Dynamik führt. Der Brahmane sollte alles, was er nicht für ein einfaches Leben benötigt, an Bedürftige oder andere Brahmanen verschenken. Brahmanen lieben ein einfaches bescheidenes Leben und geben gerne von ihrer Habe ab.

Ihr Diener

Parivadi dasa
(Kein Brahmane, jedoch nach Shri Krishnas Gnade strebend)

* Funktionelle Brahmanen sind die ordinierten Brahmanen. Sie haben einen klaren gesellschaftlichen Auftrag. Wer nicht ordiniert ist kann gleichwohl ein brahminisches Leben führen, ohne beruflich als Brahmane zu fungieren. Dies wird von den meisten Schubladendenkern nicht verstanden. Um gesellschaftlichen Verwirrungen vorzubeugen sollte nur ein ordinierter Brahmane sich als Brahmane ausgeben.

** Vaishnava-Acharyas:

Der Vaishnava ist ein Verehrer des Höchsten Herrn, Shri Krishna, der in sehr vielen Avataren sichtbar auftritt, zum Beispiel als Shri Chaitanya, Shri Krishna, Shri Rama und vielen mehr. Ein Avatara ist wörtlich übersetzt ein göttliches Wesen, welches für uns sichtbar in der Welt wirkt.

Acharya bedeutet soviel wie vorbildlicher Lehrer. In der Vaishnava-Tradition sprechen wir von Acharyas, wenn es sich um besonders vorbildliche einflussreiche Perslönlichkeiten handelt. Man erkennt sie an ihren Früchten!!! Hier finden Sie die wichtigsten Vaishnava-Acharyas.

*** Zu der Fehlvorstellung, nur Hindus kämen als Brahmanen in Betracht noch folgendes:

Shri Krishna und Seine Bhagavad-gita sind keine indischen Phänomene sondern universell gültig, so wie die gesamte vedische Offenbarung. In der vedischen Zeit gab es Indien ja gar nicht. Die nationalistische Sichtweise der Kastenbrahmanen spielte natürlich den Gegnern des Vaishnavatums in die Hände, die freudig bestätigten: Ja es ist so, wir Europäer (oder auch andere Nichtinder) haben mit Krishna nichts zu tun. Das sind einfach volkstümliche Märchen. Wer will das schon wissen? Die Kastenbrahmanen haben in ihrer sektiererischen Präsentation Shri Krishna einen sehr schlechten Dienst erwiesen, und lange Zeit gab es kaum eine vedische Mission außerhalb von Indien, weil es die allgemeine Ansicht war, die Veden und die Spiritualität jenseits des Indus - daher Indien bzw. Hindu - seien einfach alte Bräuche von rückständigen Märchenerzählern. Richtig ist jedoch, dass sich Shri Krishna in der Bhagavad-gita an die ganze Welt wendet. Von Indien ist dort kein Wort zu lesen. Das Vaishnavatum ist eine universal gültige spirituelle Kultur.