Oft wird meditativen Menschen vorgeworfen, sie flüchteten vor der Welt, sie
zögen sich aus der Affaire, sie verweigerten den Dienst an der
Allgemeinheit. Es gibt auch immer eine Gruppe von Philosophen, die Gott mit
der Welt gleichsetzen und diejenigen kritisieren, die Gott außerhalb der für
sie wahrnehmbaren Welt suchen. Religiöse Menschen neigen tatsächlich
manchmal dazu, die Welt zu verteufeln, fühlen sich oft auserwählt und über
der Masse der Unwissenden stehend, im Bund mit Gott, der sie liebt und die
anderen nicht so sehr.
In der Vaishnava-Philosophie - der Lehre der Hare-Krishna-Bewegung - wird
der Diskussion dieser Problematik sehr viel Raum gegeben. Aus dem Shrimad
Bhagavatam - auch als Bhagavat-Purana bekannt - und auch anderen
Vaishnava-Schriften wie der Bhagavad-gita ergibt sich, dass Gott sowohl
jenseits der materiellen Welt beheimatet ist, gleichzeitig aber die
materielle Welt durchdringt, sie erhält UND ihr dient:
nityo nityananam
chetanas chetananam
eko bahunam yo vidadhati kaman
Übersetzung: Der höchste Herr ist ewig und die Lebewesen sind ewig. Der
Höchste Herr ist bewusst und die Lebewesen sind bewusst. Der Unterschied
ist, dass der Höchste Herr alles nötige für das Leben der vielen Wesen
bereitstellt (Katha Upanishad 2.2.13)
Ja, wie Jesus sagt "sie säen nicht, sie ernten nicht"; die Lebewesen finden
im allgemeinen, was sie brauchen, dienen sich meist gegenseitig als Nahrung.
Sollte man hieraus nicht die Konsequenz ziehen und einfach den kosmischen
Gesetzmäßigkeiten zu folgen; "liebet und mehret Euch". Warum sollen wir nach
dem transzendentalen Gott Ausschau halten, wenn Gott doch überall verbreitet
ist als Seine Energien und Wirkungen? Kann man nicht als ein guter Mensch
"in der Welt" leben, glücklich sein und anderen Glück bringen?
Diese Frage ist höchst brisant und von essenzieller Wichtigkeit. An dieser
Frage scheiden sich die Geister.
Hier einige Anregungen bei der Diskussion dieser Problematik aus der Sicht
der Vaishnava-Theologie:
Tatsächlich ist die Qualität des Lebens vom Bewusstseinszustand abhängig.
Nichts ist uns näher als unser Bewusstsein; es ist unsere Umgebung, die
wichtigste Umweltbedingung sozusagen! Beispielsweise nimmt eine
Schmeißfliege einen Naturpark sicher anders wahr als ein romantisch
veranlagter Urlauber? Die Internationale Gesellschaft für
Krishna-Bewusstsein (ISKCON) wurde von Shrila Prabhupada gegründet, um
möglichst viele Lebewesen dazu zu inspirieren, ihr Bewusstsein auf Shri
Krishna und Sein Reich zu richten, um dann zu erkennen, dass alles andere im
Zusammenhang mit der Quelle aller Freude steht und entsprechende Bedeutung
hat. Je weiter fortgeschritten man in dieser Einsicht ist, desto mehr löst
man sich von falschen Erwartungshaltungen hinsichtlich vergänglicher
materieller Erscheinungen. Gleichzeitig hasst man die sich stets wandelnde
materielle Welt aber auch nicht, denn man erkennt ihre wahre Bedeutung,
lässt sich also nicht verwirren, ja kann sie sogar mit Krishnas Gnade
krishnaisieren.
Manche reformierte Christen träumen ja vom Reich Gottes auf der Erde. Shrila
Prabhupada formulierte in diesem Zusammenhang, dass die ganze Welt Vaikuntha
(spirituelle Welt) würde, wenn jeder krishnabewusst würde. Ein 100%iger
Erfolg ist diesbezüglich jedoch nicht zu erwarten, denn es wird immer
Lebewesen geben, die sich gegen Gott wenden. Ein fortgeschrittener
gottesbewusster Prediger kalkuliert nicht, inwieweit der Gottesdienst, das
Verbreiten von Krishnabewusstsein, nun nützlich für die Welt sein wird oder
nicht. Er führt diese Tätigkeit zur Freude von Shri Krishna aus, in
höllischen wie auch himmlischen Umständen. Sehr weit fortgeschrittene
Bhakti-Yogis befinden sich auf diese Weise für andere sichtbar in der Welt,
sind jedoch gleichzeitig nicht in der materiellen Welt sondern in Vaikuntha,
dem Reich Gottes. Shrila Prabhupada sagte zu ersten Schülern in den USA
sinngemäß, sie sollten nicht glauben, er befinde sich nun in dieser oder
jener amerikanischen Stadt.
Wenn wir diesem Gedankengang folgen konnten, so verstehen wir tatsächlich,
dass man zwar scheinbar in dieser Welt leben kann, jedoch in Wirklichkeit in
Gottes persönlicher Gemeinschaft befindlich sein mag. Solch ein Leben ist
für alle anderen Lebewesen von größtem Nutzen, da sie auf diese Weise zu
höheren Bewusstseinszuständen angeregt werden, was wirklich gut für sie ist.
Hier einige Erläuterungen von Shrila Prabhupada zu Canto 4, Kapitel 9 des
Shrimad Bhagavatam (auszugsweise), die die Thematik auf den Punkt bringen,
wie wir es von Shrila Prabhupada gewohnt sind:
"Solange man nicht auf der spirituellen Ebene verankert ist, werden alle
Tätigkeiten als Handlungen eines Toten oder geisterhafte Handlungen
angesehen (Erläuterung zu SB 4.9.6). Die ursprüngliche Energie inspiriert
einen Gottgeweihten, und so beschäftigt er alle seine Körperglieder im
Dienst des Herrn. Die gleiche Energie beschäftigt als äußere Kraft den
gewöhnlichen Nichtgottgeweihten in materiellen Tätigkeiten für
Sinnenbefriedigung. Wir sollten den Unterschied zwischen maya und sva-dhama
klar verstehen: Für Gottgeweihte handelt die sva-dhama-Energie, wohingegen
im Fall von Nichtgottgeweihten die maya-Energie handelt (Erläuterung zu SB
4.9.7). Der Ozean der materiellen Unwissenheit wird mit einem lodernden
Feuer verglichen, doch für einen Gottgeweihten ist dieses lodernde Feuer
unbedeutend, weil er völlig im hingebungsvollen Dienst eingetaucht ist.
Obwohl die materielle Welt ein loderndes Feuer ist, scheint sie einem
Gottgeweihten von Freude erfüllt zu sein (Erläuterung zu SB 4.9.11)."
Sehr fortgeschrittene Bhakti-Yogis sind daher keine Weltflüchtigen. Vielmehr
sehen sie die Welt ganz anders, nämlich im Zusammenhang mit Dienst für Shri
Krishna, der stets ekstatisch ist. Es muss betont werden, dass dieser
höchste Bewusstseinszustand nicht oft anzutreffen ist. Es wird auch dringend
davon abgeraten, solche Haltungen nachzuahmen. Zuerst müssen wir lernen,
dass die materielle Welt nicht unser Zuhause ist und unsere wahre Heimat
kennen lernen. Diese Zwischenschritte dürfen nicht ausgelassen werden, sonst
laufen wir Gefahr, Schwindler zu werden. Aber auch Neulinge im
Krishna-Bewusstsein und diejenigen auf der Mittelstufe sind angehalten, den
Lebewesen im allgemeinen Dienste zu erweisen; zur Freude Krishnas. Auf diese
Weise machen wir mehr und mehr Fortschritt.
Shrila Prabhupada erklärte, dass spirituelle Fortschrittsmöglichkeiten
unbegrenzt sind, im Gegensatz zu materiellen Wachstumserwartungen!!!
Euer Diener
Parivadi das