Bewusstes Sein III
Thema 37/2012
Wenn der Glauben mit Zwang verbreitet werden soll, dann ist das schon in sich ein Widerspruch, weil das Vertrauen eines Lebewesens im Inneren angesiedelt ist und sich dort entwickelt, wächst oder sich ändert, je nach den individuellen Erfahrungen. Selbst Tiere gewinnen z.B. Vertrauen, wenn sie von einem Herrn oder einer Frau gut behandelt werden. Sie glauben dann, dass sie da gut aufgehoben sind. Natürlich ist so ein Glauben noch nicht gerade eine weit reichende Perspektive, weil es schnell sein kann, dass man wieder ausgesetzt wird, wenn sich die Verhältnisse im Zuhause ändern, z. B. wenn sich der Tierhalter des Tieres entledigen möchte. Ein Tier ist aufgrund der Bewusstseinsbedeckung auch nicht in der Lage, einen transzendentalen Glauben zu entwickeln. Das ist im irdischen Bereich dem Menschen vorbehalten und unterscheidet ihn wesentlich von den Mineralien, Pflanzen und Tieren. Eine detailierte Analyse der verschiedenen Bewusstseinsfilter (cittas) unternahm im ausgehenden 19. Jahrhundert der herausragende Vaishnava-Gelehrte Shrila Bhaktivinoda Thakur (1838 - 1914 AD). In seinem Werk mit dem Titel Tattva Viveka teilt er die Bewusstseinszustände, die sich aufgrund der verschiedenen Schleier ergeben, allgemein betrachtet wie folgt ein:
- bedecktes Bewusstsein: Mineralien, Pflanzen
- schlummerndes Bewusstsein: Tiere
- erwachendes Bewusstsein: unzivilisierte Menschen
- knospendes Bewusstsein: diszipliniert lebende Menschen
- erblühtes Bewusstsein: selbstverwirklichte Menschen
Man muss das Werk natürlich genau studieren, wenn man die Feinheiten verstehen möchte. Jedenfalls ergeben sich aus den Bewusstseinszustände auch ganz natürlich die dazugehörenden Glaubensrichtungen. Shrila Bhaktivinoda Thakur erläutert dies in dem vorbezeichneten Werk auf einleuchtende Weise. Jemand beispielsweise, dem der materielle Lebensstandard das wichtigste im Leben ist, glaubt i.d.R. an Aspekte Gottes, die ihn versorgen. Hierzu gehören z. B. Mutter Maria, Durga, Shiva u.a. Shri Krishna erweitert sich in solche Formen, um den Gläubigen auf ihrer jeweiligen Ebene eine Stütze zu geben. Die Gläubigen wenden sich auf diese Weise an etwas höheres und gehen grob in die richtige Richtung. Das ist der göttliche Plan dahinter:
"Ich weile als Überseele im Herzen eines jeden. Sobald jemand den Wunsch hat, einen bestimmten Halbgott zu verehren, festige Ich seinen Glauben, so dass er sich dieser bestimmten Gottheit hingeben kann." (Bhagavad-gita 7.21)
Kein Wunder also, dass wir so viele Glaubensrichtungen vorfinden, deren Anhänger alle sehr überzeugt von ihrer Richtung sind. Das ist Shri Krishnas Plan zur stufenweisen Beförderung der Gläubigen. Das ist alles gut so und Glaubenskriege sind in diesem Licht gesehen höchst unsinnig. Der natürliche Wettbewerb der Gemeinschaften jedoch ist wünschenswert, denn man kann ja auf andere Ebenen wechseln, wenn die individuelle Bewusstseinsebene mit einer anderen Richtung kompatibel wird.
Festzuhalten ist, dass unser ursprünglich reines Bewusstsein wie von einem Schleier bedeckt ist, was das Grundpotenzial unserer Erkenntnisfähigkeit ausmacht. Weiter können wir erst kommen, wenn der jeweilige Schleier ganz beseitigt oder durch einen anderen ersetzt wird, was von Gott Selbst gesteuert wird (siehe Beitrag 35/2012). Unser jeweiliger Schleier enthält im übrigen all unsere Erfahrungen, die wir während unseres Aufenthaltes in der materiellen Welt gemacht haben. Diese Erfahrungen DRÜCKEN sich in den Schleier EIN. Das deutsche Wort EINDRUCK ist wieder einmal ein klassisches Beispiel für eine absolut zutreffende Bezeichnung der Situation. Unser gesamtes Karma ist also im citta-Schleier enthalten, der somit der individuelle Teil der akasha-Chronik ist. Nichts geht da verloren und muss in der Zukunft abgearbeitet werden, ja es kommen immer neue Eindrücke hinzu. Der Reinigungsvorgang geht mit der Löschung der Chronik einher. Mit dieser Reinigung beschäftigen sich ernsthaft Praktizierende, nicht jedoch diejenigen, die in der materiellen Welt bleiben möchten. Letztere werden ja nicht gezwungen, die materielle Welt zu verlassen. Sie können ihr Glück weiter versuchen, so lange sie möchten! Wenn sie gute Taten vollbringen oder sich gar Bußen auferlegen führt das zur Aufhellung des Schleiers, jedoch nie zu dessen vollständiger Beseitigung. Der Schleier wird nur durch die Barmherzigkeit Gottes hinweg genommen, wenn wir dies inbrünstig wünschen und uns den Weisungen der reinen Geweihten des Herrn ergeben:
"O mein Herr, Erhalter allen Lebens, Dein Antlitz ist durch Deine leuchtende Ausstrahlung verhüllt. Bitte offenbare Dich Deinem reinen Geweihten." (Shri Isopanishad, Mantra 15)
Daraus folgt, dass die letzte Bedeckung des Bewusstseins die Ausstrahlung Gottes ist. Wer also in die Ausstrahlung Gottes eingeht - z. B. als spiritueller Selbstmörder (siehe Beitrag 34/2012) - kommt nicht in den Genuss der Schauung Gottes. Diese ist nur denjenigen möglich, die eine persönliche Beziehung zu Gott kultivieren, mittels des Pfades des bhakti-yoga!
Der bhkati-yoga-Pfad also ist der höchst effektive Weg zum Gipfel der Selbstverwirklichung. Wenn man ihn beschreitet, muss man keinerlei Umwege machen. Wer lieber Stufen bevorzugt, kann versuchen, Zwischenstationen zu erreichen. Letzteres birgt das Risiko in sich, dass man auf so einer Raststation hängen bleibt, wie so manche Globetrotter, die man auf Bahnhöfen abhängen sieht. Der Fahrstuhl des Bhakti-Yoga hingegen führt in einem Zug durch alle Ebenen, die man dann zwar auch erfährt aber leicht loslassen kann, weil man von Anfang an eine Beziehung zur Höchsten Quelle aller Freude - Shri Krishna - kultiviert. Dies ist von Anfang an so ekstatisch, dass man dies i.d.R. nie vergessen kann, und Shri Krishna Selbst vergisst denjenigen niemals, der auch nur einmal ernsthaft einen ersten Schritt gemacht hat:
Zum Thema der Bewusstseinsstufen hier noch ein Text Seiner Göttlichen Gnade A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada:
"... Bewusstsein ist ursprünglich rein, so wie das Wasser. Doch wenn wir Wasser mit einer bestimmten Farbe vermischen, verändert es sich. In ähnlicher Weise ist das Bewusstsein des Lebewesens rein, denn die spirituelle Seele ist rein; aber es verändert sich je nach der Berührung mit den materiellen Erscheinungsweisen. Wahres Bewusstsein ist Krishna-Bewusstsein. Wenn daher jemand im Krishna-Bewusstsein gründet, ist sein Leben rein. ..." (Kommentar zu Bhagavad-gita wie sie ist, 15.9).
Hare Krishna Hare Krishna
Krishna Krishna Hare Hare
Hare Rama Hare Rama
Rama Rama Hare Hare
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