Allerseelen

Thema 44/2019

Es ist durchaus modern heutzutage, von spirituellem oder geistigem Leben zu sprechen, jedoch müssen wir dazu leider feststellen, dass kaum jemand weiß, was das heißt:

Für viele Menschen bedeutet spirituelles Leben die Abhängigkeit von Spirituosen, während eben auch unsere Geistlichen sehr gerne den Geist des Weines beschwören. Sie verwandeln gerne das Wasser in Wein, so wie es Jesus tat.

In den Kirchen wird gerne über die Unsterblichkeit der Seelen gesprochen. Jedoch wird praktisch nie definiert, was eine Seele ist.

So, nachdem wir die Thematik nun etwas humorvoll aufgemischt haben, wollen wir die wichtigsten Begriffe diesbezüglich definieren:

1. Der feinstoffliche Körper einer Seele ist weder unwandelbar noch ewig

In der abendländischen Tradition wird die Seele als der einem Lebewesen innewohnende Geist angesehen, der das Lebewesen nach dem Ableben zu neuen Existenzen trägt. Die Seele ist also im abendländischen Kontext die feinstoffliche Charakteristik einer Person, während der vergängliche Körper der zeitweilige Aufenthaltsort einer Seele ist.

Auf der feinstofflichen Ebene hat das Lebewesen viele Möglichkeiten, sein Schicksal zu gestalten. Zum Beispiel können wir uns stetig um eine Verbesserung unserer inneren Einstellung bemühen und damit bessere Zukunftsaussichten generieren. Jeder Psychologe wird freudig zustimmen, wenn ihm erklärt wird, dass eine Person sich wandeln kann. Wenn das nicht so wäre, gäbe es für Kriminelle oder Geisteskranke ja keine Behandlungschancen.

2. Die sog. geistige Ebene wird im östlichen Kontext als die spirituelle Ebene bezeichnet:

Unsere feinstofflichen Körper stellen nicht unsere ursprünglichen Existenzformen dar, weil wir ursprünglich bewusste göttliche Funken sind; Im vedischen Kontext sind das die vibhinamsas; vibhi = winzig und amsa = Teil.

Wir sind also ursprünglich kleine Gottesteilchen mit einer unvergänglichen individuellen Charakteristik. Auf dieser - wie wir bei der Hare-Krishna-Bewegung sagen - spirituellen Ebene sind wir unwandelbar. Konsequente Selbstverwirklichung führt zu dieser ursprünglichen Ebene.

Andere Ebenen sind demnach:

a) Die körperliche Ebene, auf der wir uns besonders um die Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse kümmern. Ja sogar das Zubehör erfordert sehr viel Energieeinsatz; z. B. wenn man sich mit gebrauchten Autos herum schlagen muss!

b) Auf der Mentalebene denken und träumen wir vor uns hin, kommen jedoch ohne spirituelle Führung nicht wirklich weiter, weil die Mentalebene unendlich vielschichtig ist und verwirrend wirkt. Ich denke also bin ich ist der bekannte Ausspruch im Zusammenhang mit der Mentalebene.

c) Dann kann man noch von der intellektuellen Ebene sprechen, wenn Lebewesen nach Wissen streben. Auch diese Ebene ist extrem verwirrend, weil das Wissen grenzenlos und widersprüchlich ist.

d) Klassisch gesehen ist die vierte Ebene dann die spirituelle Ebene, wobei anfänglich erkannt wird, dass man (sie) existiert. Ich bin also bin ich ist der Leitsatz bei dieser Erkenntnis.

e) Auf der fünften Ebene erkennt das Lebewesen seine spezifische Beziehung zu Gott. Wenn wir hier ankommen, wächst unser Glück grenzenlos an, denn dann sind wir daheim angekommen; meist nach fast unendlich lange erscheinenden Irrfahrten durch das All.

Zusammenfassung der wesentlichen Fakten:

a) Beim Tod verlässt der feinstoffliche Körper zusammen mit dem spirituellen Wesenskern des (der) Verstorbenen den Leichnam, um zur nächsten Lebensepisode zu reisen.

b) Der fundamentale Kern einer jeden Person ist der unwandelbare ewige individuelle Gottesfunke, das vibhinamsa, ein winziges aber extrem starkes Teilchen. Leider verwechseln viele Suchende die vergänglichen feinstofflichen Körper mit diesen Vibhinamsas.

Hier ein Beispiel, wie Shri Krishna diese Situation in der Bhagavad-gita schilderte (3.42):

indriyani parany ahur
indriyebhya param manah
manasas tu para buddhir
yo buddheh paratas tu sah

"Die aktiven Sinne sind der leblosen Materie übergeordnet, der Geist steht über den Sinnen, die Intelligenz steht über dem Geist, und sie („die Seele“) steht sogar noch über der Intelligenz."

In dieser Übersetzung verwendet der ISKCON-Gründer das Wort Seele, um das Vibhinamsa, unseren unwandelbaren Wesenskern zu bezeichnen.

Wir wiederholen gerne nochmal die interessanten Erkenntnisse hier:

Entsprechend der westlichen Theologie spricht man (sie) vom

a) Körper (der grobstoffliche vergängliche Körper),

b) der Seele (der vergängliche feinstoffliche Körper)

c) dem Geist (östlich: die spirituelle Ebene)

also westlich kurz: Körper - Seele - Geist

östlich: grobstofflicher Körper - feinstofflicher Körper - spirituelle Ebene

Der Vollständigkeit halber möchten wir noch darauf hinweisen, dass der feinstoffliche Körper, also nach westlichem Jargon die Seele, im wesentlichen folgende Eigenschaften beinhaltet:

Denken, Fühlen, Wollen, Intellekt und materielle Identifikation (falsches Ego)

Das Denken, Fühlen und Wollen wird in der deutschen Übersetzung des Sanskritwortes manah als Geist bezeichnet. Dieser Geist darf nicht mit der sog. geistigen Ebene westlicher Theologie verwechselt werden. Der feinstoffliche Geist ist vielmehr die Seele nach unserem gebräuchlichen westlichen Weltbild.

Warum haben wir diesen Beitrag überhaupt geschrieben?

Antwort: Der ISKCON-Gründer verwendet in seiner Literatur den Begriff Seele zur Bezeichnung unseres unwandelbaren Wesenskernes. Hier zur Versöhnung noch der zentrale Bhagavad-gita-Vers, der unsere Wesenskerne charakterisiert:

yatha prakasayaty ekah
kritsnam lokam imamravih
ksetram ksetri tatha kritsnam
prakasayati bharata

"O Nachkomme Bharatas, so wie die Sonne allein das ganze Universum erleuchtet, so erleuchtet das eine Lebewesen im Körper den gesamten Körper mit Bewusstsein"

Also: Die Seele ist ein winziger Partikel - situiert im Herzen des Lebewesens - und durchstrahlt unseren Körper mit Bewusstsein. Damit ist glasklar, dass unsere Seele der Ursprung unseres Bewusstseins ist. Bewusstsein, dieses Licht ausgehend von unserer Seele, ist wesentlich feiner als der feinstoffliche Körper. Die Bewusstseinsebene ist mithin die wahre spirituelle Ebene, die von unseren Seelen ausgeht. Die Seelen wiederum sind nur in Verbindung mit der Quelle aller Seelen, Shri Krishna, denkbar: Ohne Shri Krishna gibt es uns also nicht. Jeder einzelne von uns beruht auf der ursprünglichen Seele, Shri Krishna. Man (sie) kann Shri Krishna mit der Glühbirne eines Kronleuchters vergleichen, während die Perlen des Leuchters wir selbst sind. Wir leuchten nur aufgrund des ursprünglichen Lichtes (Shri Krishna).

Ihr Diener

Parivadi dasa

P. S. Wir möchten noch ergänzen, dass der bekannte Begriff Atma ebenfalls den spirituellen Wesenskern eines Lebewesens bezeichnet. Somit haben wir jetzt drei Begriffe, die dasselbe bezeichnen:

Atma-Seele-Vibhinamsa