Wahrheit und Schönheit
aus dem Back to Godhead vom 20.11.1958
von His Divine Grace A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada
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Bisweilen wird darüber diskutiert, ob die Begriffe "Wahrheit" und "Schönheit" miteinander vereinbar seien. Manch einer meint, er würde ja gerne die Wahrheit sagen, aber sie könne nicht immer gleichzeitig auch schön sein, denn die Wahrheit sei bekanntlich oft unerfreulich, ja sogar schockierend. Wie können also Wahrheit und Schönheit auf einen Nenner gebracht werden?
Als Antwort möchten wir allen, die es angeht, erklären, dass "Wahrheit" und "Schönheit" durchaus miteinander vereinbar sind - ja mit Nachdruck möchten wir darauf hinweisen, dass die wirkliche, die absolute Wahrheit immer auch schön ist. Die Wahrheit ist so schön, dass sie jeden ihn ihren Bann schlägt, sogar sich selbst. Die Wahrheit ist so schön, dass um ihretwillen viele Weise, Heilige und Gottgeweihte allem entsagten. |
( His Divine Grace
Shrila A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada (1896 bis 1977) ) |
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Mahatma Gandhi, ein Idol der modernen Welt, widmete sein ganzes Leben der Wahrheitssuche.
Und all sein Tun zielte einzig und allein auf die Wahrheit ab.
Warum nur Mahatma Gandhi? Jeder von uns hat den Drang, nach der reinen
Wahrheit zu suchen, denn die Wahrheit ist nicht nur schön, sondern
auch voller Macht, Reichtum, Ruhm, Entsagung und Wissen.
Leider wissen die Menschen nichts von der wirklichen Wahrheit. 99,9
Prozent der Menschen sagen, dass sie die Wahrheit anstreben, aber
in Wirklichkeit streben sie nach der Unwahrheit. Eigentlich fühlen
wir uns zur Schönheit der Wahrheit hingezogen, doch seit unvordenklichen
Zeiten sind wir es gewohnt, Unwahrheit zu lieben, die wie Wahrheit
aussieht. Deshalb sind für die weltlichen Menschen "Wahrheit" und
"Schönheit" unvereinbare Begriffe. Das Wesen weltlicher Wahrheit und
Schönheit lässt sich an folgender Geschichte veranschaulichen.
Einst verliebte sich ein sehr muskulöser und athletisch gebauter Mann, dessen Charakter jedoch
zweifelhaft war, in eine schöne junge Frau. Das Mädchen jedoch war nicht nur attraktiv, sondern
auch sehr tugendhaft, und die Annäherungsversuche des Mannes waren ihr unangenehm. Da der
Mann aber von unbändiger Begierde getrieben wurde und partout nicht locker lassen wollte, bat ihn
die junge Frau schließlich, sich nur sieben Tage zu gedulden. Dann könnten sie sich treffen. Der
Mann war einverstanden und fieberte dem vereinbarten Stelldichein voller Erwartung entgegen.
Die tugendhafte Frau wollte die wahre Schönheit absoluter Wahrheit enthüllen und bediente sich dazu
einer drastischen Lehrmethode. Sie nahm starke Abführmittel, und sieben Tage lang hatte sie Durchfall
und erbrach, was sie aß. Den Kot und das Erbrochene füllte sie in Töpfe. Infolge dieser Radikalkur
magerte die vermeintliche Schönheit dermaßen ab, dass sie wie ein Skelett aussah. Ihre Haut wurde
schwärzlich, und ihre schönen Augen waren tief in die Augenhöhlen eingesunken. So wartete sie zur
verabredeten Stunde voller Spannung auf den von Leidenschaft entflammten Mann.
Dieser kam - gut angezogen und sich von seiner besten Seite zeigend - und fragte die hässliche Frau,
die er vorfand, nach dem schönen jungen Mädchen, das er zu treffen gedachte. Er hatte sie aufgrund
ihres erbarmungswürdigen Zustandes nicht wiedererkannt; und selbst nachdem sie wiederholt beteuert
hatte, eben die Person zu sein, die er suche, konnte er ihr nicht glauben.
Schließlich erklärte die junge Frau dem beharrlichen Freier, sie habe
die Bestandteile ihrer Schönheit isoliert und in Töpfe gefüllt. Sie
teilte ihm auch mit, er könne sich nun an diesen "Säften der Schönheit"
gütlich tun. Als der romantisch gestimmte Mann darum bat, diese "Säfte
der Schönheit" zu sehen, wurde er in das Zimmer geführt, in dem der
dünnflüssige Stuhlgang und das Erbrochene aufbewahrt waren - ein Gemisch,
von dem ein unerträglicher Gestank ausging. So wurde ihm die nackte
Wahrheit über die "verflüssigte Schönheit" enthüllt. Durch die Gnade
der tugendhaften Frau wurde der lüsterne Mann zu guter Letzt befähigt,
zwischen Schein und Wirklichkeit zu unterscheiden, und kam zur Besinnung.
Diesem Mann erging es genauso wie jedem von uns, der sich zum falschen Schein materieller
Schönheit hingezogen fühlt. Die junge Frau hatte, gemäß den Wünschen ihres Geistes, einen schön
geformten materiellen Körper, doch ihre wirkliche Identität war von dem vergänglichen Körper und
Geist verschieden. In Wahrheit war sie ein spiritueller Funke - ebenso wie der von ihrem trügerischen
Äußeren gefesselte Liebhaber.
Weltliche Intellektuelle und Ästheten lassen sich von der äußerlichen Schönheit und Anziehungskraft
der relativen Wahrheit täuschen und wissen nichts von dem spirituellen Funken, der Wahrheit und
Schönheit vereint. Dieser spirituelle Funke verleiht dem Körper seine Schönheit. Sobald er den
vermeintlich schönen Körper verläßt, der in Wirklichkeit voller Kot und anderen ekelerregenden
Substanzen ist, möchte niemand mehr den Körper berühren, selbst wenn er in kostbare Gewänder
gekleidet ist.
Wir alle streben nach einer relativen Scheinwahrheit, die mit wirklicher Schönheit unvereinbar ist.
Die wirkliche Wahrheit hingegen ist für immer schön und verliert ihre Schönheit selbst nach unzähligen
Jahren nicht. Diese Wahrheit, der spirituelle Funke, ist unzerstörbar. Die äußere Schönheit der Haut
kann durch Abführmittel innerhalb weniger Stunden zerstört werden, doch die Wahrheit lässt sich
nicht zerstören und bleibt immer unverändert. Leider wissen weltliche Künstler und Intellektuelle nichts
von diesem schönen Funken der spirituellen Seele. Sie kennen weder das Feuer, das der Ursprung
aller spirituellen Funken ist, noch die Beziehung zwischen den Funken und dem Feuer, die in
transzendentalen Spielen Gestalt annimmt. Wenn solche Spiele durch die Gnade des Allmächtigen hier
entfaltet werden, verwechseln törichte Menschen, die nicht über die Grenzen ihrer materiellen
Sinneswahrnehmung hinaus sehen können, diese Spiele der Wahrheit und Schönheit mit den oben
beschriebenen Erscheinungen von flüssigem Kot und Erbrochenem. So fragen sie verzweifelt, wie man
Wahrheit und Schönheit miteinander vereinbaren kann.
Weltliche
Menschen wissen nicht, dass das allumfassende spirituelle Wesen jene
schöne Person ist, die auf alle und alles anziehend wirkt. Sie sind
sich nicht bewusst, dass Sie der Urgrund allen Seins, die Quelle und
der Ursprung aller Dinge ist.
Da die verschwindend kleinen spirituellen Funken Teil dieser allumfassenden
spirituellen Person sind, haben sie die gleichen Eigenschaften der
Schönheit und Ewigkeit. Der einzige Unterschied besteht darin,
dass das Ganze ewig das Ganze und die Teile ewig die Teile sind. Beide
sind jedoch voll der höchsten Wahrheit, der höchsten Schönheit,
des höchsten Wissens, der höchsten Kraft, der höchsten
Entsagung und des höchsten Reichtums.
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