Kultureller Hintergrund der Hare-
Krishna- Bewegung
Eine jahrtausendealte Tradition
ie
Hare- Krishna- Bewegung
ist im Westen relativ jung, doch ihre Wurzeln reichen weit zurück
bis in die Zeit der altindischen Hochkultur, die vor fünftausend
Jahren mit dem Erscheinen Krishnas ihren Höhepunkt erlebte. Die
Bhagavad- gita, Krishnas Botschaft an die
Menschheit, ist die wichtigste heilige Schrift Indiens. Die tiefe,
universale Bedeutung der Bhagavad- gita
wird heute durch die Hare- Krishna-
Bewegung auf der ganzen Welt bekannt gemacht.
Ursprung
ie
Spuren der ältesten Hochkulturen der Welt führen nach Indien. Dort
sind auch heute noch viele historische Stätten zu finden, die darauf
hinweisen, welch große Kultur einst in diesem Erdteil geblüht hat.
Die wichtigsten Zeugnisse jener Epoche sind die Sanskrit-
Schriften. Laut den Veden ist Sanskrit die älteste Schriftsprache
der Welt und hat auf viele später entwickelte Sprachen, wie Latein,
Griechisch, Hebräisch und Chinesisch eingewirkt.
Die Urtexte des Sanskrit werden als Veden bezeichnet
(vom Sanskritwort veda, "Wissen", "göttliche
Offenbarung"). Diese Schriften sind sehr umfangreich und sie
enthalten erstaunliches Wissen über Geschichte, Astronomie, Esoterik,
Psychologie und alle anderen Aspekte des menschlichen Lebens. Die
wichtigsten vedischen Schriften sind jedoch diejenigen, die der
Philosophie und Religion gewidmet sind. Das Kronjuwel unter ihnen
ist die Bhagavad- gita ("Der
Gesang Gottes"), die oft auch als "Bibel Indiens"
bezeichnet wird. Die vedische Religion war ursprünglich monotheistisch
und lehrte die Menschen die Verehrung des einen höchsten Gottes
(der im Sanskrit Krishna genannt wird). Es war dieser gottesbewusste
Lebensstil, dem die vedische Kultur ihre langwährende Blüte
verdankte.
Das Kali-yuga
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vedischen Quellen berichten, dass alles in dieser Welt einem zyklischen
Wandel unterliegt, einem ständigen Entstehen und Vergehen, dem Kommen
und Gehen verschiedener Zeitalter. Das gegenwärtige Zeitalter, das
Kali- yuga, ist gekennzeichnet von Streit
und Heuchelei. Es begann nach vedischer Zeitrechnung vor ca. 5000
Jahren, und in seinem Verlauf zerfiel die vedische Hochkultur zunehmend.
Die Priester, Könige und Menschen im allgemeinen verloren mehr und
mehr ihre Reinheit und Gottergebenheit, und somit entschwand die
Grundlage für eine spirituelle Gesellschaft. Dennoch blieb Indien
auch im Kali- yuga für lange Zeit ein sagenhaft
reiches Land, weshalb es im Verlauf der Geschichte immer wieder
Mächte gab, die versuchten, die Schätze Indiens auszubeuten. All
jene, die in den indischen Subkontinent vordrangen - von Alexander
dem Großen (327 v.Chr.) bis hin zu den Muslimen und Engländern -,
waren beim Anblick dieses Landes mit seinen imposanten Tempeln und
Palästen erstaunt. Aber was diese Eroberer sahen (und in vielen
Fällen auch zerstörten), waren nur die Reste einer früher noch viel
höher entwickelten Kultur.
Indiens wahrer Schatz
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großen Weisen und Heiligen der vedischen Tradition, die um die Zukunft
der Menschheit besorgt waren, sahen voraus, dass im Kali-
yuga Materialismus und oberflächliche Religiosität überhandnehmen
würden. Deshalb beschlossen sie, das bis dahin mündlich überlieferte
Wissen schriftlich festzuhalten, um zu verhindern, dass es
durch den Einfluss des Kali- yugas verloren ginge. So entstanden vor fünftausend Jahren die vedischen Schriften. Das in ihnen enthaltene Wissen jedoch ist durch göttliche Offenbarung bereits seit unvordenklichen Zeiten bekannt.
Die Schülernachfolge
eben
den Schriften gab es immer auch Lehrer (Gurus), die durch
ihr persönliches Beispiel das vedische Wissen verkörperten und weiterreichen
- über die Generationen und Jahrhunderte, von Meister zu Schüler,
bis in unsere Gegenwart. Diese ununterbrochene Schülernachfolge,
die direkt auf Krishna zurückgeht, erhielt die vedische Tradition
am Leben, obwohl sich die Menschen im Kali- yuga
immer mehr von ihr abwandten. Deshalb sehnten diejenigen, die den
Sinn und Zweck der Veden kannten, das Erscheinen Krishnas herbei,
der die reine Form der vedischen Kultur und Religion wiederherstellen
sollte.
Shri Chaitanya erscheint
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Jahre 1486 erschien Krishna in Bengalen als Shri Chaitanya. Sein
Erscheinen als göttliche Inkarnation (avatara) war bereits
in den Veden vorausgesagt worden. Er ist der Begründer der Hare-
Krishna- Bewegung in Indien und
offenbarte den empfohlenen Vorgang der Gotteserkenntnis im Kali-yuga,
das Chanten (Singen, Beten und Sprechen) der heiligen Namen Gottes.
Derselbe Krishna, der vor fünftausend Jahren die Bhagavad-
gita sprach, erschien also vor fünfhundert Jahren nochmals.
Damit zeigte Er, wie man nach den Unterweisungen der Bhagavad-
gita lebt, denn Gott gibt immer beides: vollkommene Lehre
und vollkommenes Beispiel. Shri Chaitanya setzte den Samen zu einer
neuen spirituellen Epoche innerhalb des Kali-
yugas. Er lehrte, dass echtes Gottesbewusstsein nicht von
Kasten- oder Konfessionszugehörigkeit abhängig ist. Deshalb wandte
Er sich gegen jede soziale, religiöse und rassistische Voreingenommenheit
und führte das gemeinsame Singen der Namen Gottes ein, um es allen
Menschen zu ermöglichen, Gottes- Bewusstsein
zu erlangen. Er sagte voraus, dass der heilige Name Krishnas eines
Tages auf der ganzen Welt gesungen werde. In der Erfüllung
dieser Prophezeiung sahen die Nachfolger Shri Chaitanyas ihre Hauptaufgabe.
Sie reisten durch ganz Indien, schrieben Bücher und begannen seit
dem 19. Jahrhundert auch, das vedische Wissen über die englische
Sprache der ganzen Welt zugänglich zu machen. Den entscheidenden
Schritt vollbrachte zehn Generationen nach Shri Chaitanya der große
Gelehrte und Vaishnava A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada
(1896-1977), der den Namen Krishnas und die Botschaft der Veden
weltweit bekannt machte.
Die Gründung der ISKCON
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Internationale Gesellschaft für Krishna- Bewusstsein
(ISKCON), auch Hare- Krishna-
Bewegung genannt, ist der zeitgenössische Zweig des jahrtausende alten Vaishnavismus, einer der drei Hauptströmungen des Hinduismus. ISKCON ist eine kulturelle und religiöse Bewegung, die den Menschen die Möglichkeit bietet, das vedische Wissen kennen zu lernen, zu studieren und praktisch anzuwenden. Gegründet wurde die ISKCON 1966 in New York von His Divine Grace A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada. Shrila Prabhupada, wie ihn seine Schüler nennen, war bereits in Indien als Autor, Sanskrit- Übersetzer
und spiritueller Meister tätig gewesen. In Anerkennung seiner Verdienste
war ihm 1947 der Ehrentitel "Bhaktivedanta" ("Lehrer
von bhakti, der selbstlosen Hingabe an Gott") verliehen
worden. Schon früher, im Jahre 1922, hatte ihm sein spiritueller
Meister aufgetragen, die Lehren Krishnas in englischer Sprache bekanntzumachen.
Diese Anweisung prägte sein gesamtes Leben. Im Alter von 59 Jahren,
nach Erfüllung seiner Familienpflichten, wurde er Mönch und begann
mit der Arbeit an seinem Hauptwerk - einer vielbändigen kommentierten
Übersetzung des 18.000 Verse umfassenden Shrimad Bhagavatam (der
philosophisch- historische Klassiker der
vedischen Schriften).
Im Jahre 1965, im Alter von 69 Jahren, reiste Shrila
Prabhupada auf einem Frachtschiff nach Amerika, um dem Wunsch seines
spirituellen Meisters nachzukommen. Er begann als mittelloser Mönch,
allein und ohne jegliche materielle Unterstützung; doch nach
und nach kamen die Menschen zu ihm - angezogen von seiner spirituellen
Reife und Ausstrahlung.
Prabhupadas Vermächtnis
rotz
seines fortgeschrittenen Alters war Shrila Prabhupada unermüdlich
unterwegs. Er gründete 108 Zentren in 49 Ländern, nahm Tausende
von Schülern an und brachte Millionen von Menschen die Botschaft
des Krishna-Bewusstseins näher. Gleichzeitig verfasste er rund sechzig
Bücher mit Übersetzungen und Erläuterungen der vedischen Schriften.
ISKCON heute
eit Shrila Prabhupadas Verscheiden im Jahr 1977 wird die Hare- Krishna- Bewegung von einem internationalen Führungsrat geleitet, der den Titel Governing Body Commission, abgekürzt GBC, trägt. Das Gremium aus ca. 35 Mitgliedern wurde bereits 1973 von Shrila Prabhupada selbst eingesetzt. Shrila Prabhupada war sehr darum bemüht, die ISKCON in geeigneter Weise zu formieren, damit sie auch nach seinem Verscheiden kontinuierlich die gesetzten Ziele weiterverfolgen könnte. Freilich waren die meist jungen Verantwortlichen den Aufgaben kaum gewachsen, so dass Shrila Prabhupada den Kurs des GBC wiederholt korrigieren musste. Nach seinem Verscheiden waren die immer noch wenig erfahrenen Verantwortlichen im wesentlichen auf sich gestellt, und es kam erwartungsgemäß zu Fehlleistungen, die für die ISKCON als Institution und für die Mitglieder manche Probleme verursachten. Besonders zu kämpfen hatte man mit dem Geltungsdrang und unautorisierten Alleingängen einzelner Funktionäre, obwohl Shrila Prabhupada immer wieder vor solchem Fehlverhalten gewarnt hatte. Schon der spirituelle Meister von Shrila Prabhupada hatte zukunftsweisend darauf hingewiesen, dass eine Weltmission nur im Teamgeist erfolgreich sein könne, und dennoch kam es wiederholt dazu, dass Einzelne Sonderrechte beanspruchten, obwohl sie oft gar nicht fähig waren, verantwortlich mit ihrer beanspruchten Position umzugehen. Gerade im ersten Jahrzehnt nach Shrila Prabhupadas Verscheiden mussten sich daher viele Mitglieder mit dem übertriebenen Ehrgeiz einiger Autoritäten abfinden oder die Bewegung verlassen. Offenbar mangelte es in diesen Fällen an spiritueller Reife, um zu erkennen, dass das weltliche Geschehen nicht unserem, sondern Gottes Willen unterliegt. So kam es zu Konflikten zwischen dem Anspruch der Losgelöstheit von weltlichen Notwendigkeiten und den selbstsüchtigen Bedürfnissen einzelner. Seit dem Anfang der 90er Jahre kann man beobachten, dass innerhalb der ISKCON stark über diese Missstände nachgedacht wird und sich ein zwischen spirituellen und weltlichen Aspekten des Lebens ausgeglichenes Weltverständnis durchsetzt, welches mehr Raum für die soziale Entfaltung des Einzelnen gibt. Die Mitglieder der ISCKON sind heute im allgemeinen ausgesprochen unabhängig und können aufgrund der Erfahrungen im ersten Jahrzehnt nach Shrila Prabhupada kaum noch bevormundet werden. Man ist aus den Kinderschuhen herausgewachsen. Glücklicherweise hat die ISKCON diese Nachwehen nach dem Fortgang ihres glorreichen Gründers weitgehend überstanden und viel gelernt. Die ISKCON ist entsprechend der Tradition nicht dogmatisch festgelegt sondern bestrebt, den sozialen Erkenntnisprozess fortzuführen, für das Wohl der Mitglieder und der Gesellschaft. Konstruktive Kritik wird gerne entgegen genommen. Zumeist faire Kritik findet sich z. B. unter www.chakra.org
Das GBC- Gremium leitet die
ISKCON weiterhin international, indem Grundfragen spiritueller Natur
erörtert, soziale Leitlinien erarbeitet und Grundsatzentscheidungen
gefällt werden. Die Ausgestaltung dieser Vorgaben obliegt jedoch
den einzelnen nationalen und örtlichen ISKCON-
Verbänden, die nach den jeweiligen rechtlichen, kulturellen
und sozialen Gegebenheiten dort etabliert werden. Es gilt also das
Subsidiaritätsprinzip: Zentral werden nur Dinge geregelt, die örtlich
nicht bewältigt werden können, oder die zweckmäßigerweise überregional
geregelt werden sollen.
Auch in Deutschland hat sich die ISKCON entsprechend
den hier herrschenden Gesetzmäßigkeiten organisiert. Es gibt örtliche
Hare- Krishna- Zentren, die sich selbst verwalten, und einen deutsch-österreichischen Dachverband, die ISKCON Deutschland-Österreich e.V. Das GBC- Gremium ernennt
aus den eigenen Reihen GBC- Vertreter, die sich um bestimmte Bereiche in der Welt kümmern und sehen, dass einerseits die internationalen Standards eingehalten werden, aber auch um vor Ort Anliegen entgegenzunehmen und zu helfen. Für Deutschland und Österreich ist zur Zeit His Grace Ravindra Svarupa dasa zuständig, ein Schüler von Shrila Prabhupada, der sich gerade in den schwierigen Jahren nach Shrila Prabhupadas Verscheiden große Verdienste erworben hat. Ihm zur Seite steht Dina Sharana Mataji, die ISKCON Deutschland-Österreich auf europäischer Ebene vertritt.
In der ISKCON wirken zur Zeit rund 70 spirituelle Meister,
die mit Zustimmung des GBC- Gremiums Schüler
in die jahrtausende alte Schülernachfolge einweihen dürfen. Ihnen
obliegt natürlich besonders die Aufgabe, die spirituellen Inhalte
und die Praxis am Leben und rein zu halten.
Hare-Krishna und Hinduismus
induismus
ist weder ein Begriff aus dem Sanskrit, noch findet man ihn in den
vedischen Schriften. Dieses Wort wurde von den Muslimen geprägt,
die im 14. Jahrhundert in Nordindien eindrangen. Mit dem Wort Hindu
bezeichneten sie allgemein alle Mitglieder der nicht-muslimischen
indischen Religionen auf der anderen Seite des Grenzflusses Sindhu
(Indus). Heute bezieht sich der Sammelbegriff Hinduismus
auf alle möglichen religiösen Strömungen und Traditionen in Indien,
die vedischen Ursprungs sind. In diesem Sinn ist die ISKCON nicht
eine Bewegung des Hinduismus, sondern vertritt die ursprüngliche
Krishna-Religion der vedischen Kultur, aus der sich später die hinduistischen
und auch die buddhistischen Strömungen entwickelten. Andererseits
stellt die Krishna-Religion heute eine der Hauptströmungen des Hinduismus
dar und viele Millionen Hindus sind Geweihte Krishnas. In Indien
und auf der ganzen Welt unterstützen Hindus die ISKCON- Tempel und
lassen ihre religiösen Zeremonien von ISKCON-Priestern durchführen.
Kulturell gesehen ist die ISKCON also eine authentische, zeitgenössische
Vertreterin des Hinduismus, der ursprünglich ältesten Weltreligion.
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