Beliebte Missverständnisse im Kontext sog. Spiritualität II

Der feinstoffliche Körper des Lebewesens, die sog. Psyche, ist das Gefängnis der Seele

Thema 42/2023

na hi kaschit kshanam api
jatu tishthati akarma-krit
karyate hy avasya karma
sarvah prakriti-jair gunaih

"Jeder ist gezwungen, hilflos nach den Drängen zu handeln, die von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur hervorgerufen werden; Deshalb kann niemand auch nur für einen Augenblick aufhören, etwas zu tun." (Bhagavad-gita 3.5)

Heute geht es u. a. um die Funktionsweise der Psyche und deren Einfluss auf die in ihr gefangene spirituelle Seele.

Im Westen ist es üblich, die Psyche selbst als Seele zu bezeichnen. Dieser Irrtum hat fatale Wirkungen, weil die Selbstidentifikation mit der Psyche es dem Lebewesen fast unmöglich macht, die Psyche als das zu erkennen, was sie ist, nämlich das Gefängnis der jeweiligen spirituellen Seele. Wenn sich der Gefangene mit dem Gefängnis identifiziert, hat er aufgehört, entkommen zu wollen!

Wahre Selbstverwirklichung geht einher mit dem Erkennen, dass unser individuelles Bewusstsein das wahre spirituelle Element ist, welches von der Psyche unterschieden werden sollte. Hier der grundlegende Beitrag zum Thema Bewusstsein!

Nun wissen wir also, dass wir nicht unsere Psyche sind, ebenso, wie wir nicht unser grobstofflicher Körper sind. Mit diesem Wissen können wir nun frei erörtern, wie die Psyche funktioniert. Zum Glück hat uns Shri Krishna in Seiner Bhagavad-gita genau erklärt, wie der feinstoffliche Körper, also die Psyche, das jeweilige Lebewesen bedingt. Hier sind wichtige Eckpunkte der vedischen Psychologie:

1. Der ganze Kosmos wird mittels dreier Energien gesteuert, nämlich

- der Tugend (sattva-guna), die von Shri Vishnu Selbst verwaltet wird

- der Leidenschaft (raja-guna), die von Lord Brahma modelliert wird

und schließlich

- der Unwissenheit (oder Dunkelheit), die von Lord Shiva geleitet wird

2. Aus der Dreiheit der materiellen Energie gehen die drei Faktoren der Psyche hervor, nämlich

- das materielle Ego aus der Unwissenheit

- die Intelligenz aus der Leidenschaft

und schließlich

- das Gemüt (oft als "Geist" bezeichnet; wir haben uns für den Begriff Gemüt entschieden) aus der Tugend

Je nachdem, von welcher Energie wir mehr angezogen sind, sind wir eher Egomanen (oder Egofrauen) oder Intelligenzbestien oder aber Gemütsmenschen. Aber jede einzelne Psyche besteht aus den drei Faktoren Ego, Intelligenz und Gemüt. Meistens trennen wir unsere Psyche nicht auf, sondern sehen sie als eine feinstoffliche Einheit, was durchaus seine Vorteile hat.

Das Gemüt denkt, fühlt und wünscht sich bestimmte Dinge. Es ist mehr oder weniger zufrieden, wenn wir ausreichend versorgt sind. In Situationen des Mangels zeigt es sich unzufrieden. Damit ist das Gemüt unsere feinstoffliche Umgebung und somit unsere prominenteste Lebensrealität. Darum wird das Gemüt auch gerne synonym als Psyche bezeichnet, weil das Ego und die Intelligenz besondere Funktionen darstellen, die jedoch ebenfalls feinstoffliche Phänomene sind und damit die Psyche ergänzen.

Gerade die Deutschen gelten als Gemütsmenschen: "Ein Prosit auf die Gemütlichkeit!" Die Gemütlichkeit gehört zum Heiligsten unserer Existenz.

Als gemütszentrierte Zeitgenossen haben wir es sehr schwer, über uns hinauszuwachsen, um die Freiheit vom Korsett unseres Gemütszustand zu erlangen. Ja, wir tuen meist sogar das Gegenteil und fördern unsere Gefangenschaft, indem wir es uns mit Wein, Weib und Gesang in einem Haus mit Kfz und Garage gemütlich einrichten. Was wollen wir mehr? Wir singen einige Weihnachtslieder, packen die Geschenke aus und genießen die gemütliche Gemeinschaft inmitten unserer Verwandten, Freunde und Bekannten. Wir beziehen günstiges Erdgas aus Russland, so dass wir es auch im Winter gemütlich warm haben.

Die vedische Lehre vom Zusammenspiel des materiellen Ego mit dem Gemüt und der Intelligenz widerspricht diametral der westlichen Auffassung, wonach die Psyche selbst als das entscheidende Lebenssympthom angesehen wird. Nein, ich, die ewig lebende spirituelle Seele, bin völlig verschieden von meinem Gemütszustand, der mich rund um die Uhr traktiert (also zu Handlungen antreibt). Fast alle Menschen identifizieren sich voll und ganz mit ihrer inneren Wetterlage. Beispiele solcher Zustände in kurzen Gedanken:

a) "Morgenstund hat Gold im Mund. Ich preise früh morgens den Schöpfer und bereite mich auf mein frommes Tagwerk vor." (Tugendhafter Gemütszustand)

b) "Ich habe Liebeskummer, weil mich meine Angebetete schmäht." (Leidenschaftlicher Gemütszustand)

c) "Ich bin lebensmüde und sehe keinen Sinn mehr im Leben." (Gemütszustand in Unwissenheit)

Nun wollen wir mal einen kleinen Ausflug in das Leben eines durchschnittlichen Zeitgenossen unternehmen, der sozusagen Selbstgespräche führt, um uns unsere Lage anschaulich zu machen:

"Ich wohne zur Zeit in einem grobstöfflichen Körper und werde von meiner Psyche ständig von meiner wahren ewigen und urersten Natur abgelenkt. Meine Psyche gehört also zum Bereich der materiellen Täuschung - maya".

O welche Schande? Da meldet sich eine innere Stimme und stellt alles in Frage:

"Du lebst hier nicht ewig! Was wenn uns der Russe das Gas abdreht? Die Grünen machen uns das Autofahren mit dem Verbrenner madig! Karl Lauterbach warnt vor einer weiteren Pandemie! Die Funkstrahlung schädigt Dein Immunsystem! Nimm Vitamin D3 ein! Halte Dich fit! Geh ins Fitness-Studio! Tu was gegen Dein Übergewicht!"

"Ständig diese Störungen. Das ist nicht gemütlich. Ich suche jetzt nach einer endgültigen Lösung, aber was tun? Da gibt es Leute, die sich mit Yoga beschäftigen. Sie behaupten, man müsse sich überwinden, um einen höheren Bewusstseinszustand zu erlangen, Mantras chanten, tanzen und singen in der Gemeinschaft anderer, um eine höhere Lebensqualität zu erfahren!"

Die Fakultät, die hier wie ein Störsender unsere Gemütlichkeit durcheinander bringt, ist unsere Intelligenz. Die Intelligenz ist das Navigationssystem unserer Psyche und damit auch eine Art Feuermelder für unsere Existenz. Es ist nicht gut, die Signale, die von der Intelligenz ausgehen, gewohnheitsmäßig zu unterdrücken. Vielmehr sollten wir diese Signale ernst nehmen und gelegentlich nähere Untersuchungen anstellen, um dann intelligente Entscheidungen zu treffen.

"Doch wer ist es, der hier die Entscheidungen trifft? Bin ich das wirklich selbst? Manchmal habe ich das Gefühl, als ob meine Handlungen wie von selbst ablaufen, oft routinemäßig. Nur selten halte ich ein, um mir etwas gründlich zu überlegen. Das ist anstrengend, und es wäre mir viel lieber, wenn das Leben leichter vonstatten ginge! Also ja, die Intelligenz ist wirklich nervig. Trinken wir lieber ein wenig, um beschwingter durch den Tag zu kommen! Wer bin ich eigentlich? Bin ich wirklich ein Musikant? Nein, nach dem Konzert stehe ich wieder an der Maschine in der Fabrik, um mir meine Brötchen zu verdienen. Ich bin halt ein Arbeiter, was soll man tun? Ich kann froh sein, dass ich überhaupt eine feste Stelle habe."

Dieser Zeitgenosse ist im Grunde völlig normal. Er wird voraussichtlich sein Leben durchschnittlich erfolgreich absolvieren, jedoch stellt sich die Frage, ob er bewusstseinsmäßig Fortschritte machen wird? Seine interessante Frage, wer denn eigentlich die Entscheidungen trifft, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Versuchen wir es mal:

Im eingangs zitierten Text aus der Bhagavad-gita wird die Lage des durchschnittlichen Menschen kurz und knapp, jedoch eben treffend beschrieben. Wir folgen im allgemeinen den Drängen, die unsere Psyche inszeniert. Die Psyche wird voll und ganz von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur, nämlich Tugend, Leidenschaft und Unwissenheit, beherrscht, so dass wir praktisch wie ferngesteuerte Zombies handeln und im allgemeinen nicht die Kraft haben, aus dem Hamsterrad der Zwangsläufigkeiten auszusteigen, zumal die gesamte materielle Propaganda der Massenmedien diese Art zu leben unterstützt und antreibt. Auch die meisten unserer Bekannten machen ja mit. Den Luxus, wichtige Lebensentscheidungen gründlich zu überlegen, können sich scheinbar nur diejenigen leisten, die bequem rundumversorgt sich keine Sorgen um ihren Lebensunterhalt machen müssen. Aber selbst diejenigen, die überlegt handeln, schöpfen bei ihrem Nachdenken auch nur aus dem Brunnen ihres begrenzten Wissens, so dass auch sie im allgemeinen nicht sicher sein können, sich richtig zu verhalten.

Es gibt neben den gemütszentrierten Menschen die intelligenzzentrierten Zeitgenossen, die etwas aktiver wirken und ständig neue Innovationen einbringen, eine neue Diät, Vorsätze fürs neue Jahr, Strategien, um reich zu werden. Dann gibt es noch die egozentrierten Menschen, die einfach nur recht haben oder im Mittelpunkt stehen wollen. Egal ob die Psyche gemüts-, intelligenz- oder egolastig ist, die Psyche ist das feinstoffliche Gefängnis der spirituellen Seele; Ja, die Psyche überlebt den grobstofflichen Körper und wandert zusammen mit der spirituellen Seele in die nächste Reinkarnation, und so geht das immer weiter, wenn wir nicht aussteigen!

Dieser Beitrag diente der Darstellung der Psyche, die das ewige spirituelle Lebewesen bedingt. Die Psyche ist als solche wie die Unterkleidung der spirituellen Seele, während der grobstoffliche Körper als die Oberkleidung angesehen werden kann. Yoga dient der Überwindung der Identifikation sowohl mit dem grob- als auch dem feinstofflichen Körper. Dieses kann nur gelingen, wenn wir die spirituelle Alternative zu leben lernen, denn in der spirituellen Welt leben ja die befreiten Seelen liebevoll zusammen. In der Hare-Krishna-Bewegung lernen wir die spirituellen Verhaltensweisen kennen, so dass die Psyche selbst spiritualisiert und damit zu unserem besten Freund wird. Dieser natürliche Transformationsprozess ist für jeden Zeitgenossen geeignet, der die spirituelle Art zu leben lernen möchte. Das ist ein Leben voller Gesang, Tanz und spiritueller Wissensvermittlung (Spiritualisierung der Intelligenz). Es beginnt mit der Akzeptanz unserer ewigen Natur als Diener Gottes. Das materielle Ego wird also umgedreht vom Genießerbewusstsein eines Materialisten zum Dienerbewusstsein eines Gottgeweihten. Auf diese Weise spiritualisieren wir unsere Psyche und können bei erfolgreicher Fortsetzung dieser Methode am Ende unseres Lebens in die spirituelle Welt eintreten, weil wir bereits entsprechend trainiert sind. Zentral gilt im Kali-Yuga, dass der große Mantra der Befreiung die effektivste Methode ist, die Psyche zu spiritualisieren. Wenn die Psyche mit der spirituellen Welt voll harmoniert, haben wir das Ziel erreicht:

bandhur atmatmanas tasya
yenatmaivatmana jitah
anatmanas tu satrutve
vartetatmaiva satru-vat

"Für den, der den Geist (das Gemüt) bezwungen hat, ist der Geist der beste Freund; doch für den, der dies versäumt hat, bleibt der Geist der größte Feind." (Bhagavad-gita 6.6)

Hare Krishna Hare Krishna
Krishna Krishna Hare Hare
Hare Rama Hare Rama
Rama Rama Hare Hare

Dieser große Mantra der Befreiung kommt direkt aus der spirituellen Welt. Mittels dieses spirituellen Klangs können wir bis hinein in die spirituelle Welt reisen!

Ihr Diener

Parivadi dasa